Cover
Titel
Learning from the Germans. Race and the Memory of Evil


Autor(en)
Neiman, Susan
Erschienen
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
$ 30.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Etges, Amerika-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München

„I began life as a white girl in the segregated South, and I’m likely to end it as a Jewish woman in Berlin.” (S. 3) So beginnt Susan Neimans Buch mit dem programmatischen Titel: „Learning from the Germans“. Und damit macht die Direktorin des Potsdamer Einstein Forums gleich klar, dass es sich hier nicht nur um ein rein wissenschaftliches Werk handelt, sondern auch um eine persönliche Studienreise, auf der die Ich-Erzählerin ihre Leser/innen mitnimmt: „I am not a neutral observer; this story is also my own.” (S. 19) Das Buch beruht auf Studienreisen in den amerikanischen Süden sowie zahlreichen Interviews in den USA und in Deutschland meist in den Jahren 2016/17, also zum Ende der Obama-Präsidentschaft und im ersten Amtsjahr von Donald Trump; und damit zu einer Zeit, als Rassismus und Polizeigewalt wieder verstärkt in den öffentlichen Fokus gerieten und gleichzeitig die Debatten über Sklaverei, den Amerikanischen Bürgerkrieg, Denkmäler und Südstaatensymbolik neue Fahrt aufnahmen.

Ihre Hauptthese ist, dass die Deutschen in Bezug auf ihre Vergangenheitsaufarbeitung – so der von Neiman gewählte Begriff – vieles gut gemacht hätten und dass die Vereinigten Staaten bezüglich ihrer eigenen Aufarbeitung von Sklaverei und Rassismus davon lernen könnten.1 Doch geht es nicht um eine vergleichende Untersuchung der jeweiligen Verbrechen, sondern um „comparative redemption” (S. 32). Ein Vergleich, das macht Neiman zurecht klar, ist keine Gleichsetzung, und sie betont viele historische und strukturelle Unterschiede nach dem Bürgerkrieg bzw. dem Zweiten Weltkrieg. Der wichtigste ist sicherlich, dass mit dem Holocaust das jüdische Leben in Deutschland in großen Teilen ausgelöscht wurde, während Afroamerikaner/innen in den USA weiterhin eine zwar nicht mehr versklavte, aber sichtbare und in allen gesellschaftlichen Bereichen diskriminierte Minderheit blieben.

In einem ersten von drei langen Buchteilen schildert sie „the mechanisms and mistakes of the postwar German experience. […] a slow and faulty process” (S. 26), der aber insgesamt durchaus Vorbildcharakter haben könne. Das zeige auch die deutsche Erinnerungslandschaft: „A nation that erects a monument of shame for the evils of its history in its most prominent space is a nation that is not afraid to confront its failures” (S. 270). Ausführlich setzt sie sich mit der Vergangenheitsaufarbeitung in den beiden deutschen Staaten bis 1990 auseinander. Und auch wenn sie nicht abstreitet, dass in der DDR der Antifaschismus staatlich angeordnet war, so kommt sie dennoch zu dem klaren Urteil: „East Germany did a better job of working off the Nazi past than West Germany.“ (S. 81)

Im zweiten Teil des Buches steht der amerikanische Süden im Fokus. Neiman beschreibt ihre Reise durch Teile der Südstaaten wie dem immer noch armen Mississippi Delta mit Besuchen von ehemaligen Plantagen, von Museen und Denkmälern, von schwarzen Kirchen und lokalen Initiativen. Sie nimmt an Seminaren von Institutionen wie dem William Winter Institute for Racial Reconciliation in Jackson, Mississippi teil und begegnet prominenten Bürgerrechtler/innen wie James Meredith, vielen lokalen Organisator/innen und Pädagog/innen sowie immer wieder auch Menschen, deren Positionen sie zutiefst ablehnt.

Im dritten Teil diskutiert die Autorin die Denkmal- und Gedenkstättenlandschaft in beiden Ländern und die Frage von Reparationen. Anders als im Süden der USA, wo man überall auf Denkmäler für berühmte Generäle oder die Soldaten der Südstaaten („Johnny Reb“) stoße, habe es in Deutschland nach 1945 nichts Vergleichbares gegeben. Hier wurden dagegen in Ost und West sowie im wiedervereinten Deutschland viele Gedenkstätten und Erinnerungsorte an die Verbrechen errichtet, selbst im Zentrum der Hauptstadt. Die „Stolpersteine“ bringen die Erinnerung buchstäblich bis vor die Haustüre. In den USA gibt es zwar zahlreiche Holocaustmuseen und -mahnmale, aber praktisch keine zu Sklaverei. Erst seit kurzem existiert eine berührende Gedenkstätte für die mehr als 4.000 Opfer von rassistisch motivierten Lynchings. Deren Initiator Bryan Stevenson beklagt, dass in den USA anders als in Deutschland die notwendige politische Bereitschaft gefehlt habe und auch die Scham über die Verbrechen. Reparationen sind zwar immer wieder Diskussionsthema in den USA und es gab sie Jahrzehnte später für die Familien der im Zweiten Weltkrieg internierten Japanese Americans, doch vom US-Kongress hat es bislang nicht einmal eine offizielle Entschuldigung für Sklaverei gegeben. Dass die Vergangenheitsaufarbeitung in Deutschland weiter ist, obwohl doch die Abschaffung der Sklaverei so viel länger her ist, erklärt Neiman auch damit, dass erst die Bürgerrechtsgesetze Mitte der 1960er-Jahre die legalisierte Segregation beendeten. Aber auch das ist über 50 Jahre her.

Susan Neimans vielschichtiger Vergleichsstudie kann diese Rezension nicht annähernd gerecht werden. Sie hat eine hoch interessante Frage gestellt und kommt zu klaren Thesen. Man folgt ihr besonders für die USA gespannt von Ort zu Ort und Gespräch zu Gespräch, auch wenn manch philosophischer Diskurs etwas ermüdet und sie zu oft ihre politischen Ansichten zum Ausdruck bringt. Dazu gehört auch ihr Lob des deutschen solidarischen gesetzlichen Krankenversicherungssystems (unter Aussparung der „nichtsolidarischen“ privaten Krankenversicherungen) bei der Diskussion der Reparationsfrage. Auch ihre tiefe Abneigung gegenüber Trump gibt sie immer wieder zum Ausdruck und stellt die sehr problematische These auf, dessen Wahlsieg erkläre sich „in large part, from America’s failure to confront its own history” (S. 26).

Die Stärke ihrer ganz eigenen Herangehensweise zeigt sich besonders bei den Teilen zu den USA. Hier war sie viele Monate auf einer Art persönlicher „Bildungsreise“, hat neugierig zahlreiche Begegnungen auch der nicht immer angenehmen Art gemacht. Dagegen bestehen die Deutschlandteile fast ausschließlich aus Sekundärliteratur, Analysen von Reden sowie Interviews und Gesprächen mit häufig prominenten intellektuellen Freunden und Freundinnen, Schriftsteller/innen, Politiker/innen und Wissenschaftler/innen, darunter Ingo Schulze, Friedrich Schorlemmer, Jens Reich, Jan Philipp Reemtsma, Gesine Schwan und Otto Bräutigam. Zwar stimmt sie nicht immer mit allen Thesen ihrer Gesprächspartner überein, aber „Feldforschung“, die sie mit ganz anderen Positionen konfrontiert hätte, unternimmt sie in Deutschland viel zu selten. Auch das hat vielleicht dazu geführt, dass sie der DDR zu pauschal ein deutlich besseres Zeugnis ausstellt. Die umstrittene Aufstellung einer stark vergrößerten Fassung von Käthe Kollwitz' Pietà geschah jedoch erst auf Drängen von Helmut Kohl 1993, als die Neue Wache noch einmal umgestaltet wurde (S. 82). Eine Voreingenommenheit zeigt sich auch an der scharfen Kritik der Vergleiche der zwei deutschen Diktaturen, die sie pauschal als Gleichsetzung verurteilt, während sie ihre eigene Vergleichsstudie deutlich differenzierter angeht. Auf die Debatte über die Wehrmachtsausstellung geht sie ausführlich ein. Aber auch wenn den Wehrmachtssoldaten und Generälen keine Denkmäler gebaut wurden, so wurden Kasernen und Kriegsschiffe nach hohen Wehrmachtsoffizieren wie Erwin Rommel benannt. Der Mythos der sauberen Wehrmacht erfüllte eine ähnliche Funktion wie die Glorifizierung von Robert E. Lee und den Soldaten der Südstaaten. Als Kern des Historikerstreits Mitte der 1980er-Jahre sieht Neiman die Frage, ob Faschismus und Kommunismus verglichen werden dürften. Doch Jürgen Habermas und anderen ging es um die „apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung“, die Zurückweisung der Präventivkriegsthese und vor allem um die Singularität des Holocaust.

In welcher Form die Amerikaner/innen von der Vergangenheitsaufarbeitung der Deutschen lernen könnten – es gibt keinen vergleichbaren Begriff im Englischen –, zeigt Susan Neiman in sehr differenzierter Art und Weise, ohne einfache Lehrsätze aufzustellen. Man hätte allerdings auch gern ein bisschen dazu gelesen, was denn die Deutschen in dieser Frage von den USA lernen können.

Anmerkung:
1 Zu einer ähnlichen Zeit wie Neiman bereisten Cornelia Kogoj und Christian Kravagna den amerikanischen Süden und analysierten zahlreiche Museen, die sich mit der Geschichte von Sklaverei, Rassismus und dem Kampf um Bürgerrechte auseinandersetzen. Anders als Neiman wollten die beiden österreichischen Kurator/innen und Kulturwissenschaftler/innen „von amerikanischen Lösungsansätzen […] lernen“, besonders in Bezug auf Fragen „des angemessenen Umgangs mit stereotypen Darstellungen von diskriminierten Gruppen (Schwarze, Migrant/innen, Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti und andere) in Ausstellungen und Sammlungspräsentationen.“ Vgl. Andreas Etges, Rezension zu: Cornelia Kogoj / Christian Kravagna, Das amerikanische Museum. Sklaverei, Schwarze Geschichte und der Kampf um Gerechtigkeit in Museen der Südstaaten, Wien 2019, in: H-Soz-Kult, 12.10.2020, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28568 (12.10.2020).

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